Die Einführung des dynamisierten Umlageverfahrens in der Rentenversicherung in der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer 1957 („Rentenreform 1957“) war eine tiefgreifende Zäsur. Bis dahin beruhte die Altersversorgung im Wesentlichen auf einem Kapitaldeckungsverfahren mit festen Renten. Die Regierung stellte um auf ein Umlagesystem, in dem die laufenden Beiträge der Beschäftigten unmittelbar die laufenden Rentenzahlungen finanzieren („Generationenvertrag“).
Rechnerische Annahmen und Überlegungen der Adenauer-Regierung
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Beitrags- und Lohnentwicklung
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Man ging davon aus, dass die Beschäftigtenzahl stabil oder wachsend bleibt (Nachkriegs-Babyboom, junge Bevölkerung, niedrige Arbeitslosigkeit).
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Es wurde erwartet, dass die Löhne dauerhaft steigen würden (durch Wirtschaftswachstum im „Wirtschaftswunder“).
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Renten sollten an die Lohnentwicklung gekoppelt werden, sodass Rentner „am Wohlstandszuwachs“ teilhaben.
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Demografische Annahmen
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1950er: Sehr viele junge Menschen, vergleichsweise wenige Alte.
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Lebenserwartung war deutlich niedriger als heute (Männer ca. 65 Jahre, Frauen ca. 70 Jahre).
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Man nahm daher an, dass die Zahl der Beitragszahler im Verhältnis zu den Rentenempfängern auf lange Sicht günstig bleiben würde.
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Wirtschaftswachstum
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Die Rentenreform wurde stark durch die Erwartung getragen, dass die Produktivität und Löhne kontinuierlich wachsen.
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Das Umlagesystem schien weniger krisenanfällig als das Kapitaldeckungsverfahren, das durch Währungsreformen (z. B. 1923, 1948) stark entwertet worden war.
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Beitragsbelastung
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Der Beitragssatz wurde anfänglich auf ca. 14 % (Arbeitnehmer + Arbeitgeber) festgelegt.
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Rechenmodell: Bei stabiler demografischer Struktur und wachsender Lohnsumme sollte das für absehbare Zeit reichen, um die Renten zu finanzieren.
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Politisch-strategische Annahmen
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Adenauer wollte mit der Reform auch ein sozialpolitisches Signal setzen („keiner soll im Alter Not leiden“).
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Er war bereit, finanzielle Risiken zu akzeptieren („Kinder kriegen die Leute immer“ – sein berühmtes Zitat, mit dem er die Zukunftsfähigkeit des Umlagesystems begründete).
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Man unterschätzte langfristig den Effekt des Geburtenrückgangs ab den 1970ern und der steigenden Lebenserwartung.
📌 Kurz gesagt:
Die Adenauer-Regierung
kalkulierte mit hohem
Wirtschaftswachstum, steigenden Löhnen, einer stabilen bzw. günstigen
Altersstruktur und einer vergleichsweise kurzen
Rentenbezugsdauer. Diese Annahmen machten das Umlagesystem
in den 1950ern plausibel und politisch attraktiv – auch wenn sich
später zeigte, dass die demografischen Rahmenbedingungen langfristig
ganz anders verlaufen würden.